Am Donnerstag hat der Bundestagsabgeordnete Adis Ahmetović seine elfte Rede im Deutschen Bundestag zur Debatte „30 Jahre Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien – Aufarbeitung bleibt Auftrag“ gehalten.

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- Es gilt das gesprochene Wort -

Sehr geehrte Frau Präsidentin,

Meine Damen und Herren,

von 1999 bis 2007 war Carla Del Ponte Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofes für das ehemalige Jugoslawien (ICTY). Zum Prozessauftakt gegen Slobodan Milošević am 12. Februar 2002 sagte sie in ihrem Eingangsstatement - ich zitiere:

„Dieses Tribunal, und dieser Prozess im Besonderen, sind der eindringlichste Beweis dafür, dass niemand über dem Gesetz oder außerhalb der Reichweite der internationalen Justiz steht.“

Genau heute vor 30 Jahren wurde der ICTY basierend auf der Resolution 827 des UN-Sicherheitsrates eingerichtet, um die Hauptverantwortlichen der gravierenden Verbrechen anzuklagen und zu verfolgen, welche ab 1991 auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens verübt wurden. Die Gräueltaten basierten auf einer ethno-faschistischen Ideologie, dem Traum von „ethnisch-reinen“ Gebieten und der skrupellosen Vergrößerung von Staatsgrenzen.

Slobodan Milošević und sein Machtapparat wollten ihre Großmachtfantasien durch ethnische Säuberungen unter anderem in Kroatien und Bosnien und Herzegowina umsetzen. Und schufen damit eine undenkbare, neue Form von menschenverachtender Politik in Europa nach Ende des Zweiten Weltkrieges.

Das hatte zur Folge:

  • über 150.000 Tote,
  • knapp 4 Millionen Menschen, die aus ihrer Heimat vertrieben wurden,
  • Millionen traumatisierte Menschen.

Diese Kriege wurden brutal und grausam gegen die Zivilbevölkerung geführt, in einem Ausmaß, welches nur schwer vorstellbar ist:

  • Die systematischen Vergewaltigungen von Frauen als Kriegswaffe,
  • die etlichen Massaker an unschuldigen Zivilisten, darunter auch viele Frauen und Kinder,
  • die Internierungslager, in denen systematisch gefoltert und gemordet wurde,
  • die fast vierjährige Belagerung von Sarajewo, in der Scharfschützenangriffe und Bombardierungen auf unschuldige Zivilisten zum Alltag gehörten, und nicht zuletzt
  • der Genozid von Srebrenica, bei dem innerhalb weniger Tage in Anwesenheit von UN-Blauhelmsoldaten über 8.300 Menschen im Schichtdienst ermordet wurden.

All das sind dabei nur einige der fürchterlichen Erinnerungen, welche wir mit diesen Kriegen verbinden. Deshalb ist die Arbeit des ICTY war ein wichtiger Meilenstein in der Aufarbeitung dieser Verbrechen:

  1. Der ICTY hat sichergestellt, dass die schwerwiegendsten Verbrechen nicht straflos bleiben.
  2. Er hat durch die jahrelange aufwendige juristische, objektive Aufarbeitung der Geschehnisse eine belastbare Informationsquelle geschaffen, aus der hervorgeht, was damals wirklich geschah.
  3. Hat den Opfern und ihren Angehörigen einen Raum gegeben, in dem sie vor den Augen der Weltöffentlichkeit von dem Unrecht berichten konnten, welches ihnen zugefügt wurde.
  4. Abschließend hat er zu einer effektiven Anwendung und Stärkung des internationalen Rechts geführt.

Opfern von Kriegsverbrechen und ihren Angehörigen geht es nicht um Rache, sondern um Gerechtigkeit. Es geht ihnen um die Anerkennung des Unrechts, welches ihnen und tausenden anderen Frauen und Männern, Familien und Kindern zugefügt wurde und die klare Benennung und Bestrafung der Täterinnen und Täter. Der ICTY konnte hierzu einen fundamentalen Beitrag leisten. Aber das große Problem vor dem wir noch immer stehen:

Die ethno-nationalistischen Ideologien in der Westbalkan-Region bestehen bis heute fort. Es ist unser historisches Erbe und unsere europäische Verantwortung, diese Ideologien entschlossen zurückzudrängen.

Es kann uns nicht egal sein, wenn noch heute, 30 Jahre nach Einrichtung des ICTY, verurteilte Kriegsverbrecher und ihre Taten glorifiziert werden. „Aufarbeitung bleibt Auftrag“ - so steht es im Titel der heutigen Debatte. Dieser Aufforderung kann ich nur zustimmen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

Es wird ein Tag kommen, an dem der Krieg in der Ukraine zu Ende sein wird. Lassen Sie uns dafür einstehen, dass auf eine lückenlose juristische Aufarbeitung auch eine gesellschaftliche folgt. Und dass auch in diesem Fall das internationale Recht über Unrecht siegt. Lassen Sie uns genau daran arbeiten – gemeinsam und verantwortungsvoll.

Vielen Dank für die heutige Debatte und vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.