Zweite Rede von Adis Ahmetovic im Deutschen Bundestag
Zum 30. Jahrestag des Ausbruchs des Krieges in Bosnien und Herzegowina hat der Bundestagsabgeordnete und Mitglied des Auswärtigen Ausschusses, Adis Ahmetovic, seine zweite Rede im Deutschen Bundestag gehalten.
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- Es gilt das gesprochene Wort -
Am 4. April 1992 brach ein dunkles Kapitel über die Geschichte Europas herein. Es war ein Angriffskrieg gegen einen modernen europäischen Staat mit dramatischen Folgen für das Land und seine Menschen.
- Mehr als 100.000 Tote - darunter Großeltern, Väter und Mütter,
- Brutale Kriegsverbrechen wie die Vergewaltigung von Frauen und Ermordung von Kindern,
- Das Massaker in Prijedor, die jahrelange Belagerung von Sarajevo, der Völkermord von Srebrenica,
- Insgesamt wurden in den fast vier Jahren Krieg über zwei Millionen Menschen vertrieben.
Es war ein Krieg gegen die europäischen Werte der Einheit in Vielfalt. In der Stunde der Not hofften die Menschen in Bosnien und der Herzegowina auf Europa, auf Deutschland.
Zu den Kriegsflüchtlingen aus Bosnien und Herzegowina - erlauben Sie mir an dieser Stelle, wenn ich etwas Persönliches einbringe - zählten auch meine Eltern. Vor 30 Jahren sind sie mit meinem Bruder aus der multi-ethnischen Kleinstadt Kotor Varos über Zagreb nach Hannover geflohen. Sie mussten alles hinter sich lassen.
Deutschland ist unsere Heimat geworden. Ich kam vor 28 Jahren in Hannover zur Welt, nun bin ich Mitglied des Deutschen Bundestages und darf zu Ihnen sprechen.
Nicht nur dafür bin ich dankbar, sondern vor allem für das historisch wichtige Signal, welches wir heute hier aus dieser freiheitlich-demokratischen Wirkungsstätte fraktionsübergreifend gemeinsam durch diese vereinbarte Debatte entsenden. Aus Herzen sage ich dafür „Danke“, liebe Demokratinnen und Demokraten.
Uns haben in den letzten Tagen die blutigen Bilder aus Butscha fassungslos gemacht. Viele sprechen vom neuen Srebrenica.
Angesichts des aktuellen brutalen Angriffskrieges auf die Ukraine müssen wir uns auch die Frage stellen, welche Auswirkungen dieser Krieg für Bosnien und Herzegowina und die gesamte Westbalkan-Region haben kann?
Heute, 30 Jahre später, schiebt sich - vor die nicht vollständig geheilte Welt in Bosnien und Herzegowina - neues Leid.
Im vergangenen Monat hat der russische Botschafter in Sarajewo angedroht, dass dem Land selbes wie der Ukraine widerfahren wird, wenn es sich zu einem NATO-Beitritt entscheiden sollte. Dies ist eine völkerrechtswidrige Drohung sowie ein weiterer Versuch der Destabilisierung des Westbalkans, des Mittelmeerraums und damit von Europa.
Ethno-Nationalistische Kräfte in der Region nutzen dazu jede Gelegenheit für den eigenen Machterhalt. Ihr Ziel ist die Zerstörung von Hoffnung auf echte Demokratie und eine friedliche Zukunft.
Meine Damen und Herren, einmal mehr steht Europa in der Frage um Bosnien und Herzegowina am Scheideweg. Wir brauchen einen konkreten Plan, um für Frieden, Demokratie und Wohlstand zu sorgen:
- Der westliche Balkan muss fester Bestandteil unserer außen- und sicherheitspolitischen Agenda werden,
- Wir verhandeln nicht in Hinterzimmern und nur mit denen, die aufrichtig an Demokratie und einem europäischen Weg arbeiten,
- Wir müssen für Sicherheit einstehen, indem die EUFOR ALHTEA-Mission gestärkt wird,
- Wir müssen den Hohen Repräsentant Christian Schmidt dabei unterstützen, diejenigen von Macht fernzuhalten und zu sanktionieren, die für Unfrieden sorgen und
- Wir müssen den Ländern eine klare EU-Beitrittsperspektive bieten. Die europäische Integration von Bosnien und Herzegowina und seiner Nachbarn muss gelingen.
Lassen Sie uns mutig sein und den autokratischen Kräften entschlossen die rote Karte zeigen, meine Damen und Herren.
Die Mehrheit der Menschen auf dem Westbalkan denken und fühlen europäisch. Lassen Sie uns das als Maxime nehmen und gemeinsam in einer Allianz der demokratischen Kräfte an einer europäischen Zukunft für die Menschen arbeiten und streiten.
Denn einen Wunsch habe ich:
Wenn in 30 Jahren hier im Deutschen Bundestag wieder zurückgeblickt wird auf Bosnien und Herzegowina oder die Ukraine, steht am Rednerpult eventuell dann ein Kind ukrainischer Flüchtlinge, das in Deutschland geboren wurde: Da hoffe ich, dass es nicht wie ich heute mit einem neuen, brutalen Krieg in Europa konfrontiert wird.
Es liegt mit in unserer Hand, für ein Europa des Friedens und Wohlstands zu sorgen. Packen wir es an!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.