Liebe Demokratinnen und Demokraten,
liebe Hannoveranerinnen und Hannoveraner,  

normalerweise starte ich meine Anschreiben immer mit einem positiven Aufhänger. Am heutigen Tag, in der letzten Sitzungswoche in dieser Wahlperiode, muss ich eine Ausnahme machen, denn die Ereignisse im Deutschen Bundestag sind mehr als bitter.

Als Parlamentarier haben wir heute Mittag zunächst in einer Gedenkstunde der Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Ein Gedenken an die Millionen Opfer und das unermessliche Leid, das der Nationalsozialismus mit sich brachte.

Am gleichen Tag hat die CDU/CSU-Fraktion unter ihrem Kanzlerkandidaten Friedrich Merz über Anträge zur Verschärfung in der Migrationspolitik im Bundestag abstimmen lassen. Erstmalig in der Geschichte des Landes hat eine demokratische Fraktion, die CDU/CSU-Fraktion, die Unterstützung von Rechtsnationalen bei einer Abstimmung im Parlament bewusst in Kauf genommen. Dieser historische Tabubruch, die Inkaufnahme, eine Mehrheit für einen Antrag mit dem Stimmen der AfD im Bundestag zu erreichen, wird lange nachwirken und unsere Demokratie nachhaltig verändern.

Dies ist eine Zäsur.

Nun werden aus den Reihen der CDU/CSU vermehrt Vorhaltungen laut, die Schuld liege bei den Anderen, weil sie dem Antrag nicht zustimmen wollten. Dabei möchte ich Ihnen versichern: Merz und seine Union wollten nicht mit uns reden. Sie wollen nicht mit uns reden. Sie werden mit uns dazu nicht reden. Ich bin empört über die Leichtfertigkeit, Wahrheitswidrigkeit und Rechtsbeugung des Union-Antrags zur Asylpolitik. Sie nutzen das emotional aufgeladene Thema, um zu spalten und Stimmung in Stimmen umzuwandeln.

Im Deutschen Bundestag gibt es das Prinzip: „Es gilt das gesprochene Wort.“ Merz hat vor Wochen im Plenum versichert und als Angebot formuliert – dafür habe ich ihm in diesem Moment großen Respekt gezollt – mit der demokratischen Mitte im Parlament gemeinsame Gesetze „zuvor“ abzustimmen, damit diese nicht mit den Stimmen der AfD beschlossen werden. Und wie sich heute unmissverständlich zeigt: Dieses Versprechen zählt nichts. Der heutige Tag steht nicht für einen Ausrutscher. Es war auch kein einmaliges „Experiment“. Heute wurde die Grundlage für ein schwarz-blaues Bündnis geschaffen. Das österreichische Modell könnte somit auch bei uns Wurzeln schlagen.

Ich betone nochmal: Eine Diskussion, auch über die derzeitige Asyl- und Migrationspolitik, ist zweifellos notwendig und verlangt sachliche und praxisnahe Lösungen. Ich nehme wahr, dass es Menschen gibt, die sich aufgrund der aktuellen Situation sorgen. Dazu führe ich in meinen Sprechstunden häufig Gespräche. Doch es ist von zentraler Bedeutung, dass diese Debatte unter der Wahrung eines klaren demokratischen Konsenses geführt wird. Die sogenannte Brandmauer, die zwischen demokratischen Parteien und der AfD besteht, schützt die Grundwerte unserer politischen Kultur: Menschenwürde, Rechtsstaatlichkeit und gesellschaftliche Vielfalt.

Diese Brandmauer ist heute ins Wanken geraten.

Das macht vielen Angst. Ohne Frage, auch bei mir löst es ein mulmiges Gefühl aus. Als ich in die hämisch grinsenden Gesichter der AfD-Fraktion und applaudierenden Unionsmitgliedern im Plenum schaute, wurde ein erschreckendes Band zwischen dem Konservativ-Rechts-Block sichtbar.

Ich möchte Ihnen aber deutlich sagen: Mit dem Grundgesetz haben wir seit mehr als 75 Jahren eine der besten Verfassungen der Welt – und damit die Grundlage für Frieden, Freiheit und Wohlstand. Als Demokrat setze ich mich für die Bewahrung unserer Verfassung, unseres Rechtsstaats und der europäischen Stabilität ein. Für die großen Herausforderungen unserer Zeit will ich Mehrheiten in der Mitte finden – und nicht bei den Außenrändern.

Angesichts des veränderten Wahlrechts sind Ihre Entscheidung und Stimmabgabe am 23. Februar 2025 wichtiger denn je. Ich möchte ein klares, demokratisches Angebot machen – eine Alternative zur nationalradikalen AfD und zur neuen rechtskonservativen CDU/CSU sein. Ich werde mich niemals diesem Muster, dieser Stimmung beugen. Ich bin durch und durch Demokrat, der es zu schätzen weiß, in einem so starken und vielfältigen Land wie Deutschland, in einer so liebenswerten Stadt wie Hannover zur Welt gekommen zu sein.

Ich würde mich freuen, wenn wir ein gemeinsames Zeichen spätestens am 8. Februar 2025 ab 13 Uhr bei der Kundgebung der „Omas gegen rechts“ auf dem Opernplatz setzen könnten.

In diesen schwierigen Zeiten bitte ich Sie um Ihre Unterstützung und Ihr Vertrauen. Es ist mir eine große Ehre, Sie in guten wie in herausfordernden Zeiten im Deutschen Bundestag vertreten zu dürfen.

Mit freundlichen Grüßen
Adis Ahmetović, MdB