Gedenken an Theodor Lessing
Zum Gedenken an den Mordanschlag auf Prof. Theodor Lessing am 30. August 1933 in Marienbad hat der Bundestagsabgeordnete Adis Ahmetović ein Grußwort beigetragen.
Sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der Landeshauptstadt Hannover,
der AWO, der SPD Hannover sowie des ZeitZentrums Zivilcourage,
lieber SPD-Ortsverein Misburg-Anderten,
sehr geehrte Damen und Herren,
heute vor 91 Jahren, am 30. August 1933, wurde durch das Fenster seines Arbeitszimmers im Kurbad Marienbad gegen ca. 21:30 Uhr auf Professor Theodor Lessing geschossen. Er erlag am darauffolgenden Tag seinen schweren Verletzungen. Die nationalsozialistischen Attentäter: Rudolf Max Eckert, Rudolf Zischka und Karl Hönl. Heute, 91 Jahre später, erinnern wir an den kaltblütigen Mordanschlag und das tragische Schicksal, das Lessing als Jude, als kritischem Denker und als Sozial-demokrat, als ein prominentes Beispiel der massenhaften nationalsozialistischen Verbrechen, widerfahren ist.
Aufgrund meiner aktuellen medizinischen Behandlung ist es mir leider nicht möglich, gegenwärtig mit Euch und Ihnen vor dem früheren Wohnhaus von Theodor Lessing und seiner Frau Ada in Anderten, Am Tiergarten 44, zu stehen und gemeinsam an das Attentat zu erinnern. Dennoch möchte ich meine stille Anteilnahme und meinen Dank für die Organisation der heutigen Gedenkveranstaltung unter der Federführung des SPD-Ortsvereins Misburg-Anderten übermitteln. Danke, lieber Bruno und lieber Michael, dass Ihr diese jährliche Form des Erinnerns fortführt und die heutige Veranstaltung initiiert habt.
Das heutige Gedenken an den gebürtigen Hannoveraner Theodor Lessing ist nicht nur eine Mahnung an die Schrecken der Vergangenheit, sondern auch ein Aufruf an uns alle, für Werte wie Menschlichkeit, Toleranz und Freiheit einzustehen. Das Erinnern gegen das Vergessen, das Gedenken an den Holocaust und die Opfer des National-sozialismus‘ liegen in unserer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung und sind als fester Bestandteil in der deutschen Erinnerungskultur fest verankert. Der 30. August gehört demnach unmissverständlich zu den zentralen Gedenktagen Hannovers.
Professor Lessing war ein herausragender Intellektueller, Philosoph, Kämpfer für die Aufklärung und Verfechter des Feminismus. Er war ein Mann, der unbeirrt für seine Überzeugungen einstand, auch in einer Zeit, in der dieses Engagement, wie seine Biografie leider zeigt, mit großer Gefahr verbunden war. Lessings Werk und seine Stimme waren unbequem für all diejenigen, die sich gegen die Freiheit des Denkens und die Würde des Menschen richteten. Diese Unbequemlichkeit war es, die ihn zu einem bedeutenden Vertreter des Widerstands machte.
Theodor Lessing zählte zu den ersten bekannten politischen Opfern des National-sozialismus‘. Der feige Mordanschlag gegen ihn ist ein dunkles Kapitel in der deutschen Geschichte, der uns immer wieder vor Augen führt, wie wichtig es ist, unsere Demokratie zu verteidigen. Der Tod Lessings erinnert daran und verpflichtet uns zugleich, unablässlich und entschieden gegen jede Form von Rassismus und Antisemitismus, Hass und Intoleranz, Diskriminierung und Menschenfeindlichkeit entgegenzutreten.
Die Lehren der Vergangenheit müssen uns immer eine Mahnung bleiben. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, diesen Gedenktag zu pflegen. Die Erinnerung an Theodor Lessing und das schreckliche Schicksal, das ihm widerfahren ist, ist nicht nur eine historisch bedingte Verpflichtung, sondern für mich als Sozialdemokrat auch ein moralischer Auftrag. In einer Zeit, in der Antisemitismus, Rassismus und Intoleranz wieder zunehmen, brauchen wir Orte und Momente der Reflexion, die uns die schmerzhaften Lehren der Geschichte ins Bewusstsein rufen. Indem wir diesen Gedenktag begehen, setzen wir ein Zeichen gegen das Vergessen und bekräftigen unser Engagement für eine Gesellschaft, die auf Respekt, auf Offenheit und auf dem Schutz der Menschenwürde beruht.
Tagtäglich gehen wir an unzähligen Häusern vorbei, in denen ehemals Menschen wohnten, die dem Holocaust zum Opfer fielen. Die aktuell 476 verlegten Stolpersteine machen uns im Stadtbild immer wieder darauf aufmerksam. Unter ihnen: 7 soge-nannte Deserteure, 12 Homosexuelle, 402 Jüdinnen und Juden, 2 Künstler und Schrift-steller, 12 Opfer der Krankenmorde, 15 politisch Verfolgte, 32 Sinti und Roma,
2 Zeugen Jehovas, 1 Helfer. Seit 13 Jahren erinnern auch zwei Stolpersteine vor diesem ehemaligen Wohnhaus der Lessings an das Ehepaar. Die heutige Veranstaltung schließt wohlerwogen mit dem symbolischen Putzen dieser beiden Stolpersteine.
Meine Damen und Herren, in einer Zeit, in der die Demokratie weltweit unter Druck steht und rechte Ideologien wieder an Zulauf gewinnen, ist es wichtiger denn je, die Erinnerung an Persönlichkeiten wie Professor Theodor Lessing lebendig zu halten. In schwierigen politischen Lagen, in denen Menschlichkeit leider zu häufig endet, wenn Menschen vor Krieg, politischer Willkür, Gewalt oder Naturkatastrophen flüchten, ist es wichtig, sich Persönlichkeiten wie Professor Lessing zum Vorbild zu nehmen. Seine Courage, sein Engagement und seine Entschlossenheit können uns alle dazu ermutigen, entschieden für die Werte einzutreten, die unsere Gesellschaft zusammen-halten.
Für mich als Ihr direkt gewählter Bundestagsabgeordneter ist diese heutige Gedenk-veranstaltung hier in der Nachbarschaft, in Misburg-Anderten, in meinem Wahlkreis von unschätzbarem Wert. In diesem Sinne danke ich Ihnen allen sehr herzlich, dass Sie sich die Zeit genommen und sich hier und heute zum gemeinsamen Erinnern eingefunden haben.
Mit solidarischen Grüßen
Adis Ahmetović, MdB