Persönliche Erklärung zum Entwurf eines Gesetzes zur Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten

Persönliche Erklärung zum Abstimmungsverhalten nach § 31 Absatz 1 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zum Entwurf eines Gesetzes zur Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten (Drs. 21/321)
Sehr geehrte Damen und Herren,
die heutige Abstimmung über die Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte ist für mich nicht nur eine politische Entscheidung, sie ist eine zutiefst persönliche.
Meine Eltern flohen 1992 mit meinem älteren Bruder vor dem Krieg in Bosnien und Herzegowina nach Deutschland – dort haben sie Schutz gefunden und das Gefühl von neuer Hoffnung zurückerlangt. Ein Jahr später kam ich in Hannover zur Welt. Deutschland wurde – nach 18 Ketten-Duldungen und Ausreiseaufforderung und schließlich dem Bleiberecht – endlich auch staatlich anerkannt unser neues Zuhause.
Als Familie zusammen leben zu dürfen, hat mir damals den Weg geebnet, mit einen erfolgreichen Integrationsprozess zu durchlaufen. Diese führte mich letztendlich auch hier in den Bundestag – nun sogar als außenpolitischer Sprecher meiner Bundestagsfraktion. Ich übernehme mit Freude und Stolz Verantwortung für unser Land.
Ich weiß aus meiner eigenen familiären Geschichte, was Fluchterfahrungen mit Menschen machen und was es in dieser herausfordernden Situation bedeutet, als Familie zusammenzuhalten. Genau deshalb trifft mich dieser Gesetzesentwurf aus vielerlei Gründen. Die Vorstellung, dass Eltern und Kinder auf unbestimmte Zeit getrennt leben müssen, obwohl sie Schutz vor Krieg suchen und ein Recht auf Familie haben, schmerzt zutiefst. Es ist menschlich schwer zu akzeptieren. Ebenfalls sehe ich den Gesetzesentwurf auch politisch mit geringem Mehrwert. Ich halte das Gesetz schlichtweg für falsch.
Für die betroffenen Familien bedeutet er oft jahrelange Unsicherheit, psychische Belastung und in vielen Fällen ein Leben im Schmerz der Trennung. Kinder wachsen ohne ihre Eltern auf, Ehepartner leben in ständiger Angst um das Wohl ihrer Liebsten. Das ist nicht nur inhuman, es ist auch integrationspolitisch kontraproduktiv.
Denn gelungene Integration beginnt mit Stabilität – und Familie ist der zentrale Ort dieser Stabilität. Wer seine Angehörigen bei sich hat, findet schneller in der Gesellschaft Fuß, lernt die Sprache mit mehr Motivation, kann sich auf Arbeit und Bildung konzentrieren, statt jeden Tag unter Angst und Sehnsucht zu leiden. Die Aussetzung des Familiennachzugs schwächt damit nicht nur den sozialen Zusammenhalt, sondern erschwert auch ganz konkret die Integrationsarbeit, die tagtäglich in unseren Kommunen, Schulen und Beratungsstellen geleistet wird.
Trotz alledem: Politik bedeutet auch Verantwortung in schwierigen Kompromissen. Die Aussetzung des Familiennachzugs ist Teil des Koalitionsvertrags – ein Kompromiss, der in einem größeren Zusammenhang steht. Ich habe lange gerungen. Ich habe mich mit Betroffenen getroffen, mit Fachleuten gesprochen und die Anhörung am 23.06.2025 sehr aufmerksam verfolgt. Die Kritik war berechtigt. Und ich teile viele dieser Bedenken.
Aber: Der Koalitionsvertrag ist das Fundament der Regierungsarbeit. Ihn zu tragen, bedeutet, auch schwere Entscheidungen zu akzeptieren – selbst, wenn diese mit der eigenen Überzeugung nicht immer übereinstimmen. Es ist der Preis für Koalitionsfähigkeit in komplexen Zeiten – aber dieser ist an dieser Stelle sehr hoch.
Deshalb werde ich dem Gesetz zustimmen müssen. Nicht aus Überzeugung, sondern aus Verantwortung für den Zusammenhalt dieser Regierung. Ich tue dies mit der klaren Erwartung, dass wir die Aussetzung auf die vereinbarten zwei Jahre beschränken und ihre Auswirkungen transparent, wissenschaftlich und menschlich bewerten – mit dem Ziel, Familien nicht dauerhaft zu trennen, sondern wieder zusammenzuführen.
Als jemand, dessen Familie einst Schutz in Deutschland fand, verspreche ich: Ich werde weiter dafür kämpfen, dass dieses Land ein Ort bleibt, an dem Menschlichkeit, Zusammenhalt und das Recht auf Familie zählen.
Berlin, den 27. Juni 2025
Adis Ahmetović, MdB