Offener Brief zu den aktuellen Entwicklungen in Bosnien und Herzegowina

Sehr geehrte Damen und Herren,
die politische Lage in Bosnien und Herzegowina (BiH) hat sich in den vergangenen Wochen dramatisch zugespitzt und stellt eine ernsthafte Gefahr für die Stabilität des Westbalkans und Europas dar. Als Mitglied des Deutschen Bundestages und Berichterstatter der SPD-Fraktion für die Westbalkan-Region appelliere ich mit Nachdruck an Sie, dieser Entwicklung mit entschlossenem Handeln zu begegnen.
Hintergrund der aktuellen Entwicklungen ist, dass Milorad Dodik, der Präsident der Entität Republika Srpska von Bosnien und Herzegowina, Ende Februar dieses Jahres wegen Missachtung internationaler Vorgaben zu einer Haftstrafe von einem Jahr verurteilt wurde. Darüber hinaus hatte das Gericht in Sarajevo angeordnet, dass Dodik sein Amt als Präsident der Entität niederlegen muss. Bevor das Urteil rechtskräftig werden kann, erließ Dodik einen Tag später verfassungswidrige Gesetze.
Mit diesen versucht Dodik, in dieser Entität Tätigkeiten des bosnischen Gerichts und der Staatsanwaltschaft und somit den Zugriff auf dem Territorium der Republik zu verbieten. Dies ist als ein Putschversuch einzuordnen.
Die kalkulierten Aktionen Dodiks schaffen neue, brisante Unruhen in dem Land. Dodiks Ankündigung, er werde eine Teilung des Landes anstreben, solle das Urteil gegen ihn ausfallen, schafft weitere Instabilität und gefährdet die Sicherheit und den Frieden in der gesamten Westbalkan-Region. Die Eskalation der vergangenen Tage, in denen unter anderem Polizeikräfte der Republika Srpska die bosnisch-herzegowinische Staatspolizei gewaltsam aus einem Regierungsgebäude in Banja Luka vertrieben haben, zeigt: Die Gefahr ist längst real.
Die internationale Gemeinschaft hat in der Vergangenheit mit Bezug auf den Westbalkan oft zu spät oder zu zögerlich reagiert – mit katastrophalen Folgen. Der Krieg in Bosnien und Herzegowina im Jahre 1992 kostete über 100.000 Menschen das Leben, zwei Millionen Vertriebene, zerstörte unzählige Familien, traumatisierte ganze Generationen und führte zu einem Völkermord, der erste in Europa seit 1945. Dieses historische Versagen darf sich nicht wiederholen.
Die Bundesrepublik Deutschland, die Europäische Union und die Vereinten Nationen stehen in der Verantwortung, den sich erneut abzeichnende Eskalation zu entschärfen. Erforderliche Maßnahmen:
1. Stärkung der EU-geführten Sicherheitsmission „EUFOR Althea“ durch eine substanzielle Erhöhung der Truppenstärke, um die territoriale Integrität von BiH abzusichern. Strategische Stationierungen von Soldaten im Distrikt Brcko.
2. Weitere gezielte Sanktionen gegen Milorad Dodik und seine politischen sowie wirtschaftlichen Unterstützenden.
3. Diplomatische Initiativen mit der Republik Serbien, um eine eindeutige Distanzierung von Dodiks separatistischen Bestrebungen zu fordern.
4. Langfristige politische und wirtschaftliche Unterstützung für BiH, um demokratische Strukturen zu stärken und destabilisierenden Kräften entgegenzuwirken.
Die aktuelle Situation erfordert ein gemeinsames und entschlossenes Handeln. Es ist von zentraler Bedeutung, dass die Europäische Union und ihre Partner klare Signale setzen: Jegliche Versuche, Bosnien und Herzegowina zu spalten oder seine staatliche Souveränität zu untergraben, werden nicht hingenommen und bleiben nicht ohne Konsequenzen. Es geht hier – losgelöst aller ethnischen sowie religiösen Fragen – um die Verbannung eines von Dodik aufgebauten Regimes, welches für Korruption, Kriminalität und Unrecht steht. Kern von Demokratie ist Rechtsstaatlichkeit, diese muss in diesem Konflikt siegen.
Eine erneute Eskalation auf dem Westbalkan hätte gravierende Auswirkungen – nicht nur für die Westbalkan-Region, sondern für die gesamte europäische Sicherheitsarchitektur. Wer heute in Bosnien und Herzegowina wegschaut, riskiert morgen eine Krise mit weitreichenden sicherheitspolitischen Folgen für die Europäische Union. Die Zeit zu handeln ist jetzt.
Mit Nachdruck und in der Hoffnung auf Ihr entschlossenes Handeln verbleibe ich
mit hochachtungsvollen Grüßen
Adis Ahmetović, MdB