Humanitäre Völkerrecht ist das Fundament unserer Politik


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Rede vom Bundestagsabgeordneten Adis Ahmetović zur Aktuellen Stunde im Deutschen Bundestag zur humanitären Katastrophe in Gaza am 5. Juni 2025
- Es gilt das gesprochene Wort -
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren!
Schuldzuweisung, Relativierung, Rechtfertigung - was in der Debatte zu diesem hochaktuellen Thema oft in den Hintergrund gerät, sind die großen Linien, die Ziele, die wir eigentlich gemeinsam - als Mehrheit dieses Hauses und als Mehrheit unseres Landes - europäisch und international verfolgen sollten.
Erstens: die sofortige Freilassung aller Geiseln. Kein Konflikt, keine Vergangenheit, kein politisches Ziel rechtfertigt die Entführung und Gefangenschaft Unschuldiger durch die Hamas. Ihre Freilassung ist ein Gebot der Menschlichkeit.
Zweitens: eine anhaltende Waffenruhe, ein Waffenstillstand sowie die Rückkehr zur Diplomatie. Die Sprache der Gewalt führt nur zu immer neuen Gräbern, zu neuer Wut, zu neuem Hass, und das über Generationen. Die Sprache der Diplomatie dagegen kann Türen öffnen, selbst da, wo heute noch Mauern sind. Deshalb, meine Damen und Herren, müssen wir zur Phase einer Waffenruhe zurückkehren. In einer solchen Phase sind bislang die meisten Geiseln freigekommen.
Drittens - wir reden über gleichwertige Ziele -: Das humanitäre Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung muss ein sofortiges Ende haben. Täglich brauchen die Menschen in Palästina mindestens 500 Lkws mit Hilfsgütern, circa 100 werden im Durchschnitt hineingelassen, 400 fehlen. Das bedeutet tote Kinder, Hunger, der zur Waffe wird, fehlende Medikamente, Kinder, die ohne Narkose operiert werden, Krankenhäuser, die nicht arbeiten können. Der gesamte Norden von Gaza ist nicht mehr funktionsfähig. Es gibt keine Ordnung mehr. Aus diesem Grund sind wir auch nach dem Völkerrecht verpflichtet, dafür zu sorgen, dass dieses humanitäre Leid der Palästinenser in Gaza ein Ende hat, meine Damen und Herren.
Lassen Sie mich sagen:
Die Einhaltung des Völkerrechts und die Zweistaatenlösung sind zwei weitere Ziele, die entscheidend sein werden, um nachhaltig Frieden und Stabilität in dieser Region zu bekommen.
Die Zweistaatenlösung darf kein reines Lippenbekenntnis sein. Wir müssen europäische Initiativen auf dem Weg zu einer Zweistaatenlösung unterstützen. Wir wollen einen sicheren israelischen Staat neben einem freien, souveränen palästinensischen Staat ohne die Hamas. Nur so, Palästinenser und Israelis nebeneinander in Frieden, kann es dauerhaften Frieden und Stabilität im Nahen Osten geben. Das muss die Linie sein, meine Damen und Herren, die wir national, europäisch und international gemeinsam unterstützen.
Lassen Sie mich fünftens noch eine Sache zum humanitären Völkerrecht sagen. Das ist das Fundament unserer Politik. Die Einhaltung des Völkerrechts darf keine Frage politischer Opportunität werden. Wir können nicht glauben, dass wir damit durchkommen, wenn wir sagen: Möglicherweise wird Völkerrecht gebrochen in Gaza. - Die bewusste Verknappung von Hilfsgütern, Fakten zu schaffen in der Westbank, indem 22 neue Siedlungen nicht nur ermöglicht, sondern staatlich anerkannt werden, das ist ein Bruch des Völkerrechts, und das muss man auch so aussprechen, meine Damen und Herren.
Das muss man so aussprechen, weil wir diese lange Freundschaft und Partnerschaft mit Israel haben. Denn nicht nur die Mehrheit der Menschen in Deutschland und Europa will ein Ende des Krieges. Was noch viel wichtiger ist für uns: Über 69 Prozent der Menschen in Israel unterstützen den aktuellen Kurs der Regierung nicht, sie wollen einen Waffenstillstand, sie wollen Diplomatie, sie wollen eine Freilassung der Geiseln, sie wollen in Frieden leben, sie wollen eine Normalisierung des Verhältnisses zu ihren Nachbarn.
Lasst uns doch im Sinne des israelischen Volkes handeln und nicht danach, was eine Regierung vorgibt, obwohl wir wissen, dass es völkerrechtswidrig ist. Das ist der falsche Weg, meine Damen und Herren.
Ich begrüße in diesem Zusammenhang sehr die Erkenntnis unseres Bundeskanzlers Friedrich Merz, der vergangene Woche klar gesagt hat, auch ihm fehle das Verständnis dafür, was die israelische Regierung aktuell tut. Genauso will ich auch meinen Unionskollegen Außenminister Wadephul lobend erwähnen und ihm für seinen Mut danken, dass er darauf hingewiesen hat, dass wir bei jeder Form von Waffenlieferungen, die wir tätigen, Gesetze und insbesondere Artikel 25 des Grundgesetzes zu beachten haben, der uns an das Völkerrecht bindet. Egal wem und wie viel und egal zu welchem Anlass wir Waffen liefern, wir sind verpflichtet - gesetzlich und auch verfassungsrechtlich -, zu überprüfen, ob deutsche Waffen verwendet werden, um einen Staat vor Terrorismus und Krieg zu schützen, oder ob deutsche Waffen zu einem Bruch des Völkerrechts und zur Intensivierung und zur Verschlechterung der humanitären Lage verwendet werden. Das ist eine Prüfung, die wir als SPD-Bundestagsfraktion unterstützen. Sehr geehrter Herr Wadephul, es ist gut, dass Sie das tun. Es ist dringend notwendig. Und es ist wichtig, auch im europäischen und internationalen Kontext, dass wir unsere Klarheit und vor allem unsere Glaubwürdigkeit behalten, meine Damen und Herren.
Zum Abschluss: Lassen Sie uns doch dafür sorgen, dass es kein Entweder-oder gibt. Lassen Sie uns dafür sorgen, dass Palästinenser und Israelis, Muslime und Christen und Juden, nebeneinander friedlich zusammenleben können. Dieser Konflikt beschäftigt uns schon seit Jahrzehnten und wird uns noch weitere Jahrzehnte beschäftigen, wenn wir nicht auf Frieden, Diplomatie und Zusammenleben setzen. Wir sind weiter für einen sicheren israelischen Staat; das ist unsere historische Verantwortung. Genauso setzen wir uns für einen palästinensischen Staat ein.
Vielen Dank, meine Damen und Herren. Im Sinne des Friedens: Danke.